Freitag, 9. Januar 2009

Equipment der Götter

Maiskolbenfetisch, Schlagring und Zeremonialstab:

rätselhafte Ikonographie in Mittelamerika

Gisela Ermel

In: Q'Phase, Nr. 7, Kassel 2007



Vor über 3000 Jahren - ca. 1200 v.Chr. - machte eine Gruppe von Steinzeitbauern in Mittelamerika einen rätselhaften und abrupten Sprung zur Hochkultur, während rundum der Rest Mesoamerikas auf Steinzeitniveau verharrte (1). Diese so plötzlich und ohne Zwischenstufen entstandene Hochkultur bezeichnen wir heute als die der Olmeken. Nach dem Kultursprung tauchten außergewöhnliche Darstellungsmotive auf, die sich in einer Hinsicht von allen vorhergehenden Motiven unterschieden: sie wiesen phantastische und unrealistische Merkmale auf (2). Mit einem Mal wurden in Mittelamerika nun Personen dargestellt, die unseren modernen Archäologen wie eine Kombination aus Jaguar und Mensch vorkommen, und es wurden menschliche Personen mit überlangen Schädeln dargestellt, wie wir sie von der irdischen Anatomie her nicht kennen (3). Etwas später kamen zu diesen Motiven noch Figuren mit Vogelkostümen, geflügelte schlangenartige Objekte sowie Kombinationen aus beiden Motivgruppen hinzu (4).

Entweder hatten die damaligen Menschen eine blühende Phantasie (aber merkwürdigerweise erst ab dem Kultursprung) - oder diese Motive gingen auf Gesehenes und Erlebtes zurück. Dass sich die damaligen Menschen einfach so "Götter" ausdachten und diese mit Merkmalen und Gegenständen ausstatteten, zu denen sie Mutter Natur inspirierte, erscheint mit ziemlich unlogisch.

Heutige Völker imitieren und portraitieren höherstehende Kulturbringer und fremde Besucher und deren "magische" Ausstattung erst dann, wenn sie von höherstehenden Europäern, Amerikanern usw. real kontaktiert wurden. Es würde zu weit führen, hier all die verschiedenen Cargo-Kulte aufzuführen, die nach dem 1. und 2. Weltkrieg entstanden und ihren Ursprung hatten in einem Erstkontakt von Südseeinsulanern mit Vertretern einer ihnen technologisch überlegenen Zivilisation. Fast jeder Leser dieser Zeitschrift hat schon mal Fotos gesehen von Strohflugzeugen, hölzernen Antennen usw. - Beispiele für von Primitiven imitierte technische Gegenstände.

Doch auf welche Vorbilder gehen die Ausstattungsgegenstände derjenigen Figuren - durch die Bank weg von den Archäologen als Götter, Überirdische, Mischwesen usw. bezeichnet - zurück, die die frühen Mittelamerikaner nach dem Kultursprung auf Stein verewigten?

Ein solches Objekt ist der sog. Maiskolbenfetisch. Er sieht aus wie ein fackel- oder stabähnlicher Gegenstand. Der untere Teil ist gewöhnlich zylinderförmig, dann folgt ein Abschnitt, der an gebündelte Rohre oder Stäbe erinnert und eine Art horizontale Umwicklung zeigt. Darüber sieht man ein breiteres büschelartiges Element, oft ausgestattet mit einem - wie die meisten Archäologen meinen - Himmelssymbol (4 + 2).



Darstellungsbeispiele für den sog. Maiskolbenfetisch ab 800 v.Chr.



Dieser obere Teil ähnelt - wieder nach Meinung etlicher Archäologen - entweder Flammen (dann als Fackel interpretiert) (6) oder Federn oder dem oberen Teil eines Maiskolbens oder ... hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Es handelt sich also um einen stabförmigen kurzen Gegenstand mit geradem Unterteil und rund-spitzem Oberteil. Auf einigen Darstellungen erinnert dieses Objekt ein wenig an eine moderne Taschenlampe.

Was auffällt, ist die Tatsache, dass die Personen, die diesen Gegenstand in der Hand halten, fast immer "Götter" oder "nichtmenschliche Wesen" sind (4). Was noch auffällt, ist die Tatsache, dass je später zeitlich die Darstellung angefertigt wurde, desto phantastischer sieht das Objekt aus. Die ältesten Darstellungen sind viel einfacher und nüchterner.

Das älteste Beispiel stammt aus San Lorenzo, aus der Stadt, die unmittelbar zum Zeitpunkt des plötzlichen Kultursprungs entstand. Hier ziert der rätselhafte Gegenstand eine Steinstele mit einem mysteriösen "Jaguarmenschen-Drachen-Motiv" (7). In La Venta ziert der Maiskolbenfetisch u.a. eine kleine Jadeaxt, die zum weltbekannten "Opfer 4" gehört. Auf dieser Jadeaxt wurde eine Person mit rätselhaftem Kopfschmuck dargestellt, die diesen Gegenstand in der Hand hält. Ein ähnliches Motiv gibt es auf einer Jadebrustplatte aus La Venta. In Chalcatzingo, einem bedeutenden olmekischen Außenposten der La Venta-Zeit, prangt dieser Gegenstand auf einem Monument, das von den Ausgräbern als "Fliegender Olmeke" oder "El Volador" benannt wurde (8). Die Figur auf dem Monument trägt einen Flügelumhang und in der Hand den Maiskolbenfetisch. Solch ein Objekt in der Hand hält z.B. auch eine Person auf einer Wandmalerei in Oxtotitlan, dort, wo auch eine Person in einem "Vogelkostüm" dargestellt wurde (9 + 10 + 11). Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, die hier unmöglich alle aufgelistet werden können.
Steinmonument aus San Miguel Amuco: Gestalt mit "Vogelhelm" und Maiskolbenfetisch
Chalcatzingo: Felsrelief mit "Fliegenden Peronen" mit Maiskolbenfetisch in der Hand
Was aber für ein Gegenstand ist hier eigentlich dargestellt? Es wurde bei all den Ausgrabungen verschiedener Stätten niemals ein reales Artefakt gefunden, das dem abgebildeten Gegenstand gleicht oder auch nur ähnelt. Wir kennen ihn nur von Darstellungen. Man kann also nur spekulieren über Bedeutung und praktischen Zweck dieses Objektes. Michael Coe, der Experte schlechthin für olmekische Kultur, vermutet, dass hier nichts weiter dargestellt sei als eine einfache brennende Fackel. Einige Archäologen tippen auf ein Szepter, eine Keule oder eine unbekannte Waffe, andere wiederum auf ein Handelsobjekt, ein Bündel Federn beispielsweise, während noch andere gar keinen realen Gegenstand im dargestellten Objekt vermuten, sondern ein Symbol für Wolken oder Regen (4).
Als Karl Taube, Experte für olmekische Ikonographie, den Gegenstand mit den Maisfetischen der Pueblo-Indianer Nordamerikas verglich, blieb fortan der Begriff "Maiskolbenfetisch" an diesem Motiv hängen. Diese Maisfetische der Pueblo-Indianer sind fast immer ausgestattet mit Gebetsstäben und Gebetsfedern, einem Detail also, das im Zusammenhang steht mit der Kommunikation zwischen Mensch und höherem Wesen - Funkkontakt mit den Göttern sozusagen.
Die Bezeichnung Maiskolbenfetisch für den seit dem Beginn der mittelamerikanischen Kulturen immer und immer wieder in den Händen "überirdischer Personen" dargestellten Gegenstand zeigt bislang nur, wie irreführend es sein kann, nach dem "sieht-am-ehesten-aus-wie"-Prinzip zu interpretieren. Erst wenn man erkennt, dass der Kultursprung vom Steinzeitbauern zur Hochkultur mit Auslassung aller dazu nötigen Entwicklungs- und Zwischenstufen nicht vorstellbar ist ohne die Initiative höherstehender unbekannter Masterplaner, kann man anfangen zu überlegen, was für ein Gegenstand hier in Stein wieder und wieder bildlich verewigt und in wessen Händen er erstmals gesehen wurde.
Das gleiche gilt für die ebenso rätselhaften dargestellten "Schlagringe", bei denen kein Mensch weiß, was sie eigentlich sein sollen. Auch hier stammt die älteste Darstellung aus San Lorenzo, eine weitere ziert als Motiv eine Jadeaxt des "Opfer 4" aus La Venta (diesmal gehalten von einer darauf dargestellten schwebenden oder fliegenden Person), und ebenso findet sich das Motiv u.a. auf dem Relief der "Fliegenden Olmeken" in Chalcatzingo.
Neben dem Archäologen Matthew Stirling ein typischer olmekischer "Werjaguar" mit "Schlagringen", Monument in San Lorenzo

Olmekische Darstellung einer Figur mit Maiskolbenfetisch und Schlagring

Olmekische Figuren mit Maiskolbenfetisch und Schlagring

Seit dem frühesten Beginn der olmekischen Kultur wurden diese "Schlagringe" immer wieder und wieder dargestellt, mal als einzelner Gegenstand, mal paarweise. Das Objekt hat ein Eingriffsloch für die Hand und weist meistens ein Wellen- oder Zackenmuster auf. Der Gegenstand erinnert ein wenig an unseren Drachenschnurhaltegriff, an einen Beissring für Säuglinge und eben an unsere Schlagringe. Meist halten die dargestellten Personen ein Paar dieser Gegenstände vor der Brust oder einen dieser Gegenstände in der Hand. In vielen Fälle zusätzlich zu einem Maiskolbenfetisch. Es überrascht nicht, dass es auf den ältesten Darstellungen wieder genau die Personen sind, die damit ausgestattet sind, die von den Archäologen als "Götter" oder "Überirdische" interpretiert werden, oder Personen mit überlangen, anormalen Schädeln. Erst viel später wurden dann Maya-Herrscher damit dargestellt. Ebenso wie beim Maiskolbenfetisch gilt: je später die Darstellung, desto phantastischer und ausgeschmückter das Motiv.

Olmekische Figur mit Helm, Schlagring und Maiskolbenfetisch
Die wahre Bedeutung der "Schlagringe" ist ebenso unbekannt wie die des "Maiskolbenfetisch". Auch in diesem Fall wurde nie ein reales Artefakt gefunden, das den dargestellten Objekten gleicht. Der Begriff "Schlagring" wurde 1952 durch Philip Drucker nach dem guten alten "sieht-am-ehesten-aus-wie"-Prinzip eingeführt und ist hängen geblieben (4 + 12). Auch wird, wie so oft, wenn man nicht weiter weiß, von einem Zeremonialobjekt geredet. Mutiger sind schon die Archäologen, die sich fragen, ob der Schlagring ein Werkzeug sei, eine Waffe oder ein Sportutensil für Boxer oder Ballspieler. Karl Taube hatte auch in Sachen Schlagring eine ausgefallene Idee: es könne sich um das Werkzeug des Regengottes handeln zum Regen machen (4). Dumm nur, dass wir gar keine Belege dafür haben, dass die Olmeken überhaupt so etwas wie einen Regengott kannten. Dass das Vorbild für die Schlagringe eine simple Meeresmuschel war, sie der Archäologe Andrews spekuliert, klingt nicht sehr überzeugend. Natürlich gab es auch hier wieder Mutmaßungen um Symbole für Wolken oder Wasser.
Findet man in den Ruinen kein reales Vorbild für einen dargestellten Gegenstand, so gibt es nach Ansicht der Ausgräber nur zwei Möglichkeiten: entweder sind dies Symbole, oder die Vorbilder für den Gegenstand wurden aus vergänglichem Material hergestellt und haben die Zeit bis zur Ausgrabung nicht überdauert. Eine dritte Möglichkeit wird von den Archäologen - noch? - nicht in Erwägung gezogen: dass es sich um Gegenstände handelte, von denen kein reales Exemplar hier blieb, weil die damit Ausgestatteten sie wieder mit sich nahmen - wohin auch immer.
Das gilt auch für das dritte Darstellungsmotiv, das ich hier vorstellen möchte: den Zeremonialstab. Auch diesmal stammt das früheste Beispiel aus der Zeit der Olmeken. In La Venta z.B. hält dies Objekt eine Person auf einer Steinstele, stehend vor einer türartigen Nische, die von den Archäologen interpretiert wird als "Monstermaul" oder "Eingang in eine andere Welt" (auch Archäologen haben durchaus Phantasie) (s. dazu auch meinen Artikel "Das bemannte Monstermaul"). Der abgebildete Gegenstand erinnert ein wenig an eine moderne Schublehre.
Dieser Gegenstand wurde dargestellt auf Steinstelen in Städten, die zur gleichen Zeit entstanden wie La Venta: Abaj Takalik, Calakmul, El Mirador, Lamanai, Seibal, Tikal, Uaxactún und in etlichen anderen. Das Motiv dauerte fort bis zum Ende der Maya-Kultur (ca. 900 n.Chr.).
Allgemein gilt: dieser Gegenstand befindet sich meist auf den jeweils ältesten Monumenten der Stätten. Das Objekt wird entweder waagerecht vor der Brust gehalten oder schräg in einem Arm oder schräg in beiden Armen. Das Aussehen des Gegenstandes zeigt etliche Varianten, da verschiedene Stile und Designs einflossen im Laufe der Zeiten. Dennoch handelt es sich um ein ansonsten gleichbleibendes Motiv. Oftmals befinden sich an beiden Enden des Stabes kleine Schlangenköpfe, manchmal mit daraus hervorschauenden menschlichen Köpfen oder "kleinen Jadeäxten" oder was auch immer das darstellen soll (4). Es wurde kein einziges Artefakt ausgegraben, das einwandfrei als ein Original der dargestellten Gegenstände identifiziert werden konnte.
Stele aus El Baúl, Olmeken: Person mit Zeremonialstab

Stele aus Quirigua, Maya: Person mit quer gehaltenem Zeremonialstab
Stele aus La Venta, Olmeken: Person mit Zeremonialstab
Was aber wurde hier abgebildet? Eine Waffe? Ein Werkzeug? Ein Herrschersymbol? Theobert Maler, der zu Anfang des 20. Jh. den Gegenstand als erster beschrieb, taufte ihn "Ornamentalbalken". Schon 1914 schrieb Thomas Joyce von einem "Zeremonialstab", eine Bezeichnung, die sich allgemein durchsetzte. Eduard Seler spekulierte 1915 über eine "Lichtschlange", "Feuerschlange" oder "Doppelkopfschlange"; dazu hatte er sich inspirieren lassen durch die rätselhaften Waffen verschiedener Götter in den mexikanischen Mythen. Da der Gegenstand - so wie auch Maiskolbenfetisch und Schlagringe - in der Regel von "Göttern" gehalten wurde, fehlten auch hier nicht Spekulationen um ein Himmelssymbol, ein kosmologisches Symbol und ähnliche Deutungen. Die brauchbarste Bezeichnung stammt von Herbert Spinden, der 1975 den Gegenstand als "Objekt mit unbekanntem Gebrauchszweck" bezeichnete (4).
An der Flanke des Cerro Gordo nahe der uralten olmekischen Stadt Chalcatzingo gibt es prähistorische Bergwerksminen. Die Mapa de Cuauhtinchan II, eine Bilderhandschrift aus den 1580er Jahren, die vermutlich von älteren Vorlagen wieder und wieder kopiert wurde und somit wohl aus der Zeit vor der Eroberung Mexikos stammt, zeigt in einer künstlichen Höhle und in einer Art Tempel eine Kultstätte, ausgestattet mit einem interessanten Kultobjekt. Es steht auf einem Altar und sieht aus wie ein Stab mit Schlangenmaul an der Spitze (und damit wie einer der Zeremonialstäbe). Davor knieen Chichimekenpriester. Die Bilderhandschrift schildert Ereignisse aus der Zeit zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert.
Im Mittelpunkt der Handlungen stehen die Chichimeken, die eine lange Wanderung machten, geführt von einem Träger mit dem rätselhaften Kultobjekt. Die Bilderhandschrift, die wie eine Karte angelegt ist, wird seit etlichen Jahren durch ein Team von Fachleuten (die meisten darunter von der Harvard University) analysiert und erforscht. Miguel Medina vermutet, dass dieses Kultobjekt in der Höhle ein Heiliges Bündel darstelle (13 + 14). Ein Heiliges Bündel aber ist laut Darstellungen mehrerer mexikanischer Bilderhandschriften und Schilderungen früher spanischer Dokumente ein Gegenstand zur Sprachübertragung - also ein Kommunikationsgerät. (s. dazu auch meinen Vortrag "Das Heilige Bündel").
Sollte es sich beim Kultobjekt der Chichimeken und dem "Zeremonialstab" der Olmeken und Maya um denselben Gegenstand handeln? Waren die unbekannten und hochstehenden Kulturbringer, die ca. 1200 v.Chr. aus Steinzeitbauern die Hochkultur der Olmeken entstehen ließen, ausgestattet gewesen mit technischen Geräten? Darunter wäre ein Kommunikationsgerät für das Verständigen untereinander bei all der Kontrolle und der Organisation der Arbeitermassen beim Bau der mathematisch-astronomischen Stätten nicht nur vorstellbar sondern unverzichtbar. Sollte ein solches Gerät - oder eine Imitation desselben - bis in die Chichimeken-Zeit überlebt haben und als Kultobjekt in einer Höhle verehrt worden sein?
Szene der Mapa de Cuauhtinchan II: Tempel oder Höhle mit Kultobjekt

Heiliges Bündel, wie es in zahlreichen mixtekischen Bilderhandschriften vokommt

Szene des Codex Boturini: in der Mitte ein Sprache aussendenden Heiliges Bündel, mit dem die Personen kommunizieren = Funkverbindung zu den Göttern? Nach Anweisungen durch dieses Kommunikationsgerät wanderten die Azteken sehr lange Zeit bis zum vorgeschriebenen Ziel, wo sie - ebenfalls auf Befehl des aus dem Heiligen Bündel sprechenden Gottes - die Stadt Tenochtitlan gründeten

Codex Florentine: Der Gott Tezcatlipoca mit seinem Bild und Ton übertragenden "Spiegel"
Ausgrabungen in den Bergwerksminen und künstlichen Höhlen bei Chalcatzingo brachten Steinbögen, Nischen und Skulpturen ans Tageslicht, Figurinen aus der La Venta-Zeit (ab ca. 900 v.Chr.) und vieles mehr. Man weiss inzwischen, dass diese Höhlen durch einen Ritualweg mit Teotihuacan verbunden waren, einem Zentrum, das erst lange nach La Venta begann. Noch für die Azteken aus der Zeit der Eroberung Mexikos galt eine der Höhlen als Kultstätte und heilig. Was aus dem dort aufbewahrten und verehrten Kultobjekt, dargestellt in verschiedenen Sezenen der Mapa de Cuauhtinchan II, wurde, ist völlig unbekannt (13 + 14).
Maiskolbenfetisch, Schlagring und Zeremonialstab: offenbar waren die auf Stein verewigten und dargestellten "Götter" Personen, die mit Gegenständen ausgestattet waren, deren Zweck wir bis heute noch nicht erkannt haben. Was aber wäre praktischer für Kulturbringer, die Steinzeitleute vorgeplante Reissbrett-Städte bauen liessen, als tragbare Kommunikationsgeräte, Werkzeuge und Vermessungsgeräte? Was sahen oder meinten die Olmeken und Maya, als sie diese Gegenstände in den Händen "göttlicher " Personen darstellten?
Die Interpretation ikonographischer Motive Mittelamerikas steht eigentlich noch ganz am Anfang, und viel Brauchbares oder gar Überzeugendes ist noch nicht dabei herausgekommen. Die "sieht-aus-wie"-Deutung ist immer problematisch. Eigentlich müsste man bei jedem einzelnen Motiv zurückgehen bis zum zeitlich frühesten bekannten Beispiel. Und hier ist einiges in Bewegung. Neuerdings setzt sich unter den Fachleuten für mittelamerikanische Ikonographie die Erkenntnis durch, dass der Vorläufer des späteren Regengottes und des Maisgottes niemand anderes war als der uralte olmekische "Werjaguar" (2 + 4 + 5 + 15 + 16), ein Motiv, das genau zu der Zeit erstmals auftauchte, als die Steinzeitbauern ihren unerklärlichen und plötzlichen Sprung zur Hochkultur machten. (s. dazu auch meinen Vortrag "Vom Werjaguar zum Regengott")
Die Figur, die später zum Regengott wurde (wie sie Archäologen deuten und wie sie Olmeken und Maya wahrscheinlich gar nicht meinten), ist oft mit einer helmartigen Kopfbedeckung versehen und hat ein "Maul" mit Anhängseln.
Typischer olmekischer "Werjaguar" mit Kopfhelm: der berühmnte "Astronaut" von El Baúl
Windmaske, Maul und Brillenaugen (allesamt natürlich nur phantasievolle Bezeichnungen der modernen Ausgräber) sind immer wiederkehrende Merkmale späterer Götterfiguren. Das Vorbild der Regengötter der Maya, Zapoteken und anderer mittelamerikanischer Völker trug offenbar einen kopfumschliesenden Helm, das Gesicht verdeckt oder nur teilweise zu sehen hinter schwer zu deutenden Details. Daraus, so weiss man inzwischen, entwickelten sich die typischen "Brillenaugen" des Regengottes Tlaloc oder trapezoide Mundmasken, phantasievoller Kopf- und Ohrenschmuck und rätselhafte Gegenstände vor Nase oder Mund. Kopf und Helm zeigen auch später noch immer die merkwürdige Spalte, aus der meistens etwas herausragt. Wenn es aussieht wie ein Teil einer Maispflanze, wird die Person selbstverständlich als Maisgott interpretiert.
Was oder wer aber mag das reale Vorbild gewesen sein für die ältesten Darstellungen? Personen, die eine helmartige Kopfbedeckung trugen mit Gegenständen an, vor oder neben Mund, Nase, Ohren und auf dem Kopf? Solche Darstellungen gibt es ab der Zeit von San Lorenzo, der ersten Stadt nach dem Kultursprung. Auch hier gilt die Devise: je älter die Darstellung, je einfacher und schmuckloser das Bild. Damit gehört übrigens der sog. "Astronaut von El Baúl" in die Reihe der ganz frühen "Werjaguar"-Darstellungen, die später zu "Regengöttern" und "Maisgöttern" mutierten - und all das: der Jaguarmensch, der Regengott und der Maisgott sind selbst nichts weiter als spekulative Bezeichnungen unserer mordernen Archäologen anhand des guten alten - und so oft irreführenden - "Sieht-aus-wie"-Prinzips. Was die Olmeken und die Maya wirklich darstellten oder versuchten darzustellen, wissen wir deshalb noch lange nicht.
Steinmonument aus San Martin Pajapan, olmekisch: ein "Werjaguar" oder ein Kollege des etwa zeitgleichen "Astronauten" von El Baúl?
Warum wurden erst ab dem Kultursprung in Mittelamerika - initiiert und wohl auch kontrolliert durch unbekannte hochstehende Masterplaner - menschliche Figuren dargestellt, die als "Götter", "Himmelswesen" u.ä. interpretiert werden? Warum wurden erst ab dem Kultursprung Gegenstände dargestellt, deren Zweck oder Funktion uns unbekannt sind? Wer waren die Kulturbringer, die diesen kulturellen "Big Bang" auslösten und damit sehr wahrscheinlich u.a. den Beginn dieser und anderer Darstellungsmotive verursachten, die uns bis heute rätselhaft sind? Auf diese Fragen hat die Archäologie noch keine Antworten gefunden. Die Mythen aber nicht nur der mittelamerikanischen Völker zur Zeit des ersten Kontaktes mit den Europäern berichten von himmlischen Kulturbringern, die vor langen Zeiten von jenseits der Erde hierher kamen, um unsere Lehrmeister zu sein, bevor sie wieder in ihre ferne und unbekannte Heimat zurückkehrten.
Literatur:
1 = Ermel, Gisela: Das Rätsel von San Lorenzo. In. Sagenhafte Zeiten, Nr. 2, Beatenberg 2006
2 = Blomster, Jeffrey: What and where ist Olmec Style? In: Ancient Mesoamerica, Nr. 13, 2002
3 = Coe, Michael: Olmec Jaguars and Olmec Kings. In. E. P. Benson: The Cult of the Feline. Washington, D.C., 1970
4 = Taube, Karl A.: Olmec Art at Dumbarton Oaks. Washington, D.C., 2004
5 = Reilly III., F. Kent: Olmec Iconographic Influence on the Symbols of Maya Rulership. In: 6th Palenqze Round Table: Olmec Influence on Maya
6 = Coe, Michael / Richard A. Diehl: In the Land of the Olmec. Austin 1980
7 = Coe, Michael: San Lorenzo and the Olmec Civilization. Washington, D.C., 1970
8 = Grove, David C.: Ancient Chalcatzingo. Austin 1987
9 = Reilly III., F. Kent: Visions of Another World. Dissertation, Austin 1994
11 = Grove, David C.: Olmec Altars and Myths. In: Archaeology, Nr. 26, 1973
12 = Drucker, P. / R. F. Heizer / R. J. Squier: Excavation at La Venta, Tabasco. Bureau of American Ethnology, Bulletin 170, Washington, D.C., 1969
13 = Yoneda, Keiko: Los Mapas de Cuauhtinchan y la Historica Cartografica Pre Hispanica. Archivo General de la Nacion, CIESAS, Astado de Puebla 1981 + 1991
15 = Benson, Elisabeth P.: The Cult of the Feline. Washington, D.C., 1970
16 = Furster, Peter T.: The Olmec Were-Jaguar Motif in the Light of Ethnographic Reality. In. David C. Grove / Rosemary A. Joyce: Social Patterns in Pre-Classic Mesoamerica. Washington, D.C., 1999
Mehr zum Thema:
Gisela Ermel: Das Heilige Bündel der Azteken.
Kultursprung, Masterplan und Götterstimmen: Mittelamerikas rätselhafte Vergangenheit.
Ancient Mail Verlag, Gross-Gerau 2007
ISBN 978-3-935910-44-6
272 Seiten, zahlreiche Abbildungen



















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